#36 TG

Szene XXXVI: Lukas 8, 40-49

Graf von Hanau-Münzenberg: Sodele. Jetzt, da Kutschenfahrerinnen und Spaziergänger wieder einträchtig vereint sind, schlage ich vor, wir gehen nun zum gemütlichen Teil über. Wie eingangs ausdrücklich erwähnt, bleibt auf unseren Touren natürlich auch das leibliche Wohl nicht außen vor. Begebt euch deshalb nun mit mir auf die Restaurantterrasse. Ei, ihr Leut, seht doch nur zum Himmel hinauf, ist das ein Wetter? Ist DAS ein Wetter? In der Grafschaft Hanau-Münzenberg scheint immer nur die Sonn! Immer nur die Sonn!

Reiseblogger Michael: Bin gespannt, wann uns hier zum ersten Mal trüber bedeckter Himmel die schöne Sicht vermiest.

Reiseblogger Peter: Super Idee, schiebe Kohldampf ohne Ende nach diesen Strapazen.

Reiseblogger Lars, Simon: Bier her, Bier her, oder wir fall’n um!

Graf von Hanau-Münzenberg: Wem es unter der Ludwigs Macht unerträglich wird, einfach melden, schwuppdiwupp spannen Kellner Sonnenschirme auf. Schließlich trage ich als Reiseleiter meinen Gästen gegenüber eine Fürsorgepflicht; nicht dass einige gleich am ersten Tag das Vergnügen erheblich schmälernde Sonnenbrände behandeln lassen müssen. Die Sonneneinstrahlung ist derart intensiv, die geht ungefiltert durchs weiße Schminkpuder.

Reiseblogger Michael: Außer an den trüben Tagen natürlich.

Reiseblogger Andreas: Erstmal nen doppelten Whisky. Mindestens 50%. Nein, gleich zwei. Nein, am besten drei.

Reiseblogger Lars: Dein Ernst? Was willst du bereits mittags mit hartem Zeug?

Reiseblogger Andreas: Nagenden Frust runterspülen. Nicht EINE Frau habe ich durch meine schon als lebensmüde zu bezeichnenden Trekkingaktionen abgekriegt, nicht EINE; selbst nachdem ich am Mera Peak in 6100 Meter Höhe in voller Montur jenen viral gegangenen Rückwärtssalto über diese gefährlich Felsspalte gemacht hatte.

Reiseblogger Lars: Das ist wirklich frustrierend, Great Himalaya Andy. Kipp vier.

Graf von Hanau-Münzenberg: Dann ran ans Büffet. Lasst euch von den leckeren Köstlichkeiten der Hanau-Münzenbergischen Küche verwöhnen.

Reisebloggerin Louise: Wartet mal…drüben…diese große Anzahl Personen. Die stehen schon die ganze Zeit da.

Reisebloggerin Delara: Als würden sie Dennis erwarten.

Reisebloggerin Lana: Manche Männer blicken völlig verzweifelt.

Reisebloggerin Coco: Und einige Frauen weinen vor Kummer, versuchen, durch tröstende Umarmungen Mut zu fassen.

Reisebloggerin Josephine: Einer tritt hervor.

Reisebloggerin Saskia: Oh, Gott, ein Häufchen Elend.

Familienvater: Euer Durchlaucht! Hochmächtiger, allergnädigster Herr! Akzeptiert meinen untertänigsten Gruß, bitte! Mögen Gott und Ludwig XIV. allzeit mit euch sein!

Graf von Hanau-Münzenberg: So komme Er getrost näher. Spreche Er. Was ist Sein Begehr?

Reiseblogger Lars: Sieh dir das an, Great Himalaya Andy, er fällt Dennis zu Füßen.

Reiseblogger Andreas: Offenbar gängige absolutistische Praxis; war damals wohl so üblich.

Familienvater: Oh, omnipotenter, nur Gott und eurem Gewissen verpflichteter fürstlicher Souverän! Versagt einem schmerz-gepeinigten Vater nicht seine Bitte!

Reisebloggerin Coco: Wie gütig sich Dennis zu ihm hinneigt.

Familienvater: Ich stamme aus Obertshausen, circa zehn Kilometer von hier entfernt, drüben, in Deutschland. Meine einzige Tochter ist unheilbar krank; die Klinikärzte geben Kira noch maximal drei Tage. Meine Frau und ich haben unsere kleine Prinzessin gestern zum Sterben heimgeholt. Da rief mich heute früh ein alter Schulfreund an, berichtete, von Euch gingen wundersame Kräfte aus. In unserer Not sind wir mit ihr sofort hergefahren. Eure Diener haben sie umgehend ins zweite Stockwerk getragen. Hochmächtiger, allergnädigster Herr, bitte, weist verzweifelte Eltern nicht ab. Kira ist doch erst zwölf. Seine Durchlaucht sind unsere letzte Hoffnung. Schnell, unumschränkt Herrschender, eilt zu ihr ins Schloss!

Graf von Hanau-Münzenberg: Das gemeinsame Mittagessen verschiebt sich. Heilige Pflichten rufen! Folgt mir!

Reiseblogger Peter: Das wird für uns garantiert kein Spaziergang dorthin; immer mehr Menschen tauchen auf.

Mann 1: Schneller, Leute, schneller, unser trefflicher Herr schickt sich gnädig an, erneut ein Wunder zu wirken!!!!!

Reiseblogger Lars: Hat im Stadtteil Kesselstadt scheinbar ordentlich die Runde gemacht. Buschtrommel funktioniert.

Mann 2: Dennis Kevin I. von Gottes Gnaden Graf von Hanau-Münzenberg, erbarme dich meiner!!!!!

Reiseblogger Simon: Mutiert zum Volksauflauf.

Jugendliche 1: Sche*ße, ich hab mein Handy vergessen, ich hab mein Handy vergessen!!!!!

Jugendliche 2: Ich schick’s dir von meinem.

Reiseblogger Peter: Dennis, von allen Seiten umdrängt.

Junge Frau: DENNIIIIIIIIIIS!!!!! MACH DEN HUFEISENTRICK!!!!! DENNIIIIIIIIIIS!!!!!

Reiseblogger Simon: Gabs da nicht mal etwas, nannte sich auch Abstandsregel?

Mann 2: Dennis Kevin I. von Gottes Gnaden Graf von Hanau-Münzenberg, erbarme dich meiner!!!!!

Reiseblogger Lars: Ich an seiner Stelle hätte längst das Wachregiment aufmarschieren lassen.

Reisebloggerin Coco: Boah, plötzlich alles voll! Nirgendwo mehr ein Durchkommen! Oh, Gott…nein…ich bekomme wieder diese panischen Zustände…ich muss weg…ich muss weg…lasst mich durch…verd*ammt nochmal, lasst mich duuuuurch…

Ältere Dame: Passen Sie doch gefälligst auf!

Reisebloggerin Coco: …lasst mich duuuuurch…ich möchte aus dem Gedränge raus…ich ersticke…ich ersticke…ich…ich…ich…ersticke…

Älterer Herr: Ja, spinnt die denn? Rücksichtslos!

Reisebloggerin Coco: …endlich…endlich…geschafft! Luft, Luft, ich brauch Luft! Rasch den Kopf ein bisschen hochneigen. So. Tief, tief durchatmen. Puuuuuhhh. Und nun ganz entspannt den Blick emporrichten. Gaaaaannnnnz entspannt schauen.

Strahlend blauer Himmel. Klar, ohne Sonnenschirm läuft gar nichts. Wahnsinn, und das an 362 Tagen im Jahr. Wo setz ich mich nachher zum Essen eigentlich am besten hin? Weiß schon! So. Genug geschaut. Nochmal gaaaaannnnnzzzzz tief. Puuuuuhhh. Doch, ja, geht jetzt einigermaßen. Wo sind die anderen abgeblieben? Ah, da hinten, Dennis‘ Reiseleiterfähnchen ragt aus der Menge.

Graf von Hanau-Münzenberg: Wer ist es, der mich berührte?

Reisebloggerin Louise: Was redet er?

Reisebloggerin Muriel: Alle verneinen.

Reisebloggerin Chloe: Unheimlich, das Ganze.

Reiseblogger Peter: Dennis, die Leute drängen und drücken dich, und du sagst: „Wer ist es, der mich berührte?“

Graf von Hanau-Münzenberg: Es berührte mich jemand, denn ich spürte eine Kraft von mir ausgehen.

Reisebloggerin Delara: Eine Frau stellt sich freiwillig.

Reisebloggerin Louise: Sie sah ein, dass es nicht verborgen blieb.

Reisebloggerin Saskia: Meine Güte, sie zittert richtig vor Angst.

Reisebloggerin Viktoria: Ohje, unerlaubtes Berühren eines absoluten Regenten, der Armen droht härteste Bestrafung.

Reisebloggerin Sandra: So wie dieser Vater eben wirft auch sie sich vor Dennis nieder.

Reisebloggerin Louise: Krass, wir sind mitten ins feudale absolutistische Geschehen involviert. Herr und Untertan.

Geheilte Frau: Preist Gott, unseren allmächtigen Schöpfer, für das Wunder, dass er eben an mir vollbrachte!!!!! Seit zwölf Jahren litt mein Körper an einer schweren chronischen Stoffwechselstörung; die Schmerzen und Krämpfe trotz vieler Medikamente kaum auszuhalten. Zwölf Jahre tingelte ich ergebnislos von Praxis zu Praxis. Zwölf Jahre klapperte ich zusätzlich auf Privatkosten einen Heilpraktiker nach dem anderen ab – vergeblich. Zehnmal reiste ich sogar an den fernen Baikalsee zu verschiedenen sibirischen Schamanen, ha, von wegen heilkundige Medizinmänner! Irgendwann war mein gesamtes Vermögen aufgebraucht, und weiterhin plagten mich schier unerträgliche Qualen. Da trat ich im Gedränge von rückwärts hinzu, berührte ganz sachte die Jacke dieses Gottgesalbten. Nur ganz vorsichtig tippte mein rechter Zeigefinger den Saum an; auf der Stelle wurde ich geheilt.

Graf von Hanau-Münzenberg: Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Gehe hin in Frieden!

14. 09. 2025

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