Szene V: Erleuchtung
Marquise de Hanau-Münzenberg: Ja, das war ein herber Rückschlag, der meine hoffnungsvollen Pläne um Lichtjahre zurückwarf. Ich hatte nämlich bei seinem Fensteröffnen blitzartig drei weitere in mir ständig aufsteigende Traumbilder geistig fest vor Augen.
Psychiater: Zeigen sich diese ebenfalls originalgetreu?
Marquise de Hanau-Münzenberg: Keine Ahnung jetzt wieso, aber seltsamerweise nur teilweise. Also, ich versuch’s Ihnen mal zu erklären. Zuallererst taucht die Einsiedelei in derart ver-schwommenen Konturen auf, sodass mir stets schwindelig wird. Im Inneren zeichnet sich schemenhaft irgendwie ein Tisch mit einer Kerze drauf ab, an dem anscheinend jemand sitzt.

Die Umrisse werden schärfer. Allerdings vermag ich weiterhin nicht zu erkennen, wer diese Person sein könnte.

Ha, jetzt wird’s wirklich verrückt!!!!! Plötzlich gleicht die Eremitage der berühmten Tempelhalle im japanischen Nara. Meine Blicke sind auf jene zum nunmehr thronenden Daibutsu von Nara gewordene Gestalt gerichtet; als würde ich ihm wie 2012 beim Schüleraustausch direkt gegenüberstehen.

Herr Doktor, besäße ich nicht absolute Gewissheit, im irrealen Traumland zu sein, könnte mir jedes Mal glatt folgender Gedanke in den Sinn kommen: „Hey, cool endlich wieder in Nara, wurde aber auch Zeit!“
Psychiater: Reine Neugier: Hinken derartige Vergleiche nicht gewaltig?
Marquise de Hanau-Münzenberg: Keineswegs! Mir ging ein Licht auf. Wie Buddha unermüdlich das Rad dreht, soll analog ein auserwählter Eremit als ebenfalls Erleuchteter das Karussell drehen; und zwar nach intensiver Meditation über dessen Schönheit. Es ist Leid, doch durch Fahrten mit dem an prachtvoller Herrlichkeit unübertroffenen ältesten Karussell der Welt kann das Leid aufgehoben werden.
Psychiater: Aaaaaahhh…jetzt klingelt’s bei mir. Junges Fräulein Marquise, Ihr Vergleich ist einzigartig! Vielleicht gelingt es dem die Lehre verkündenden Buddha von Wilhelmsbad tatsächlich, unsere von tiefstem menschlichen Elend gezeichneten Kontinente in rosa Ponyhöfe zu verwandeln, wo sich alle lieb haben.
Marquise de Hanau-Münzenberg: Sehen Sie!!!!! Jener Zugführer war für Hohes auserkoren. Und beinahe hätte er sein edles Bestimmungsziel auch erreicht; die Klause liegt schließlich in unmittelbarer Nähe. Man spürt am Bahnübergang förmlich schon ihre Aura. Stattdessen fährt der Typ vorbei.
Psychiater: Am ausgestreckten Arm verhungert. Das gibt es.
Marquise de Hanau-Münzenberg: Ach, Herr Doktor, alles ist so schrecklich! Weshalb ich fragen wollte, ob Sie mir eventuell wirksame Beruhigungspillen verschreiben können.
Psychiater: Wozu? Bis jetzt sehe ich in deinen Schilderungen keinerlei psychische Auffälligkeiten. Zuerst einmal: Hexen gibt es nicht und hat es nie gegeben. Punkt. Höchstens in albernen Märchengeschichten à la Frau Trude als klares Anzeichen für noch unterentwickelter, infantile kultureller Bewusstseinsstufen. Mir ist gelinde gesagt schleierhaft, warum Jakob und Wilhelm Grimm, auf die Hanau große Stücke hält, für lächerlichen Firlefanz, anzusiedeln auf der Stufe primitiver Stammesmythen, kostbare Zeit verplemperten. Und das nach den glorreichen Errungen-schaften von 1789. Aufklärung. Vernunft. Kampf dem Aberglau-ben. Na ja, heutzutage cleveres Tourismusmarketing. Städte leben davon. Höhöhö…Lohr…ooooohhh…Schneewittchenstadt. Hohoho…Hofgeismar…ohooooohhh…Dornröschenstadt. In dir hingegen dominieren positive, unverfälschte, mächtige Energien. Du möchtest als Medium Mitmenschen anstupsen, sie mit Gedanken über alternative Lebensentwürfe in Berührung bringen. Verkorkstem Leben neuen Sinn geben. Allerdings konnte besagter Zugführer damals unmöglich aussteigen. Prinz Gautamas Fußstapfen zum erhabenen Buddha blieben dem Unwürdigen verwehrt, weil er sein törichtes Herz einer augenklimpernden, höchstwahrscheinlich wesentlich jüngeren Dame geschenkt hatte. und für billige Leidenschaft enorme finanzielle Schwierigkeiten akzeptierte. Hauptsache, eifrig kuscheln! Ein Kind der Welt. Ein Clown, gefangen im Weltenlauf. Vergiss ihn, um nicht zu sagen, Buddha wäre mit selbst gefertigten Werbeplakaten am Wilhelmsbader Bahnübergang auf gleiche Weise kläglich gescheitert. Meditative Weltentsagung ist nichts für Weicheier.
25. 01. 2025
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