Diskrete Neuordnungen – #1 DN

Randgespräche unbedeutender Leute in unbedeutenden Zeiten

Erzählrunde 1

Szene I: Gähnende Leere

Spaziergänger 1: Hoppala, die junge Dame! Aufgepasst, sonst landen Sie mir noch im Matsch! Wäre jammerschade um Ihr sportliches Outfit.

Joggerin: Schock, beinahe hätte ich gelegen! Und der Jogginganzug nigelnagelneu. Sein erster Einsatz. Gestern traf er per Versandpaket ein. War bei diesem unangenehmen Nieselwetter wohl keine gute Idee, den Wald zu nehmen.

Spaziergänger 1: Zu Ihrer Beruhigung, es geht nicht nur Joggern so; selbst als Spaziergänger musst du höllisch achtgeben. Der Boden, überall aufgeweicht; sehen Sie sich meine Schuhe an.

Joggerin: In den letzten Tagen gab’s wirklich viel Regen. Anscheinend sind wir beiden tatsächlich auch die einzigen Wagemutigen im Wald, welche ungemütliche Herausforderungen tapfer annehmen

Spaziergänger: Unnormal für die Winterzeit; eigentlich müsste alles als weiße Pracht runterkommen. Immerhin zeigt der Kalender schon den 27. Januar 2025 an; und der Januar gilt gemeinhin -neben dem Februar- als schneesicherer Monat.

Joggerin: Mag sein, derartige Prognosen galten jedoch bestimmt vor dem Klimawandel.

Spaziergänger 1: Erinnere mich noch gut, zu meiner Förderstufenzeit in der Joseph-von-Eichendorff-Schule zog Obertshausens Jugend nach Unterrichtsende scharenweise über die Autobahnbrücke zum alten Müllberg. Im Januar/Februar 1982 kam so viel Schnee runter, meine Eltern wussten nicht mehr wohin mit dem Zeug; mein Vater schippte irgendwann die Massen einfach in unseren Vorderhof.

Joggerin: Echt, die Eichendorffschule? Voll witzig, meine Mutter ging bis zur 6. Klasse auch dorthin. Jaaaaa, dieser Müllberg, von den Zeiten berichtet sie ebenfalls super gerne. Einige Mädchen drehten allerdings lieber nebenan auf dem mit einer dicken Eisschicht bedeckten Anglersee ihre Runden und übten fleißig Pirouetten.

Spaziergänger: Obwohl am Ufer Hinweisschilder eindringlich vor dem Betreten der Eisdecke warnten; juckte trotzdem niemanden.

Joggerin: Wusste natürlich jeder, dass auf zugefrorenen Gewässern Einbruchsgefahr droht; naja, glücklicherweise nie etwas passiert. Okay, ich versuche mal, irgendwie weiterzulaufen; so gut wie’s matschiger Untergrund halt zulässt.

Spaziergänger 1: Dann noch viel Spaß.

Joggerin: Danke. Wird aber bloß ne erheblich abgespeckte Version; ursprünglich sollte die Runde über den Sportplatz des FV Germania Bieber führen.

Spaziergänger 1: Respekt.

Joggerin: Spiel entfällt ersatzlos. Da, schauen Sie. Wie soll ich, bitteschön, zum Bahndamm gelangen? Ich darf meinen Fuß neuerdings nicht mal einen Millimeter auf die vor uns beginnende Obertshäuser Wegschneise setzen!

Wie, bitteschön, soll ich oben die Gleise erreichen? Wie tot liegt die Obertshäuser Wegschneise im Wald. Von unserem Weg abgeschnitten. Wegen dieser imaginären Linie!

Spaziergänger 1: Sie wurden vorhin auch von vier Bundespolizistinnen am Seniorenstift angesprochen?

Joggerin: Gerade eben während meiner Aufwärmübungen. Haben Sie auch zwei aneinander getackerte Informationsblätter für Aufenthalte im hiesigen Waldgebiet erhalten?

Spaziergänger 1: Meinen Sie die?

Joggerin: Ja, genau.

Spaziergänger 1: Ab sofort darf von Obertshäuser Seite aus grundsätzlich keiner mehr jene auf dem Stadtplan rotgestrichelte Trennmarkierung überqueren; dasselbe gilt in umgekehrte Richtung. Wenn ich richtig draufgucke entspricht ihr Verlauf zudem eins zu eins der Offenbacher Gemarkungsgrenze zu Obertshausen.

Joggerin: Bei Verstößen brummen sie einem mindestens 10.000 Euro Strafe auf.

Spaziergänger 1: Hat man vielleicht Ihnen den Grund genannt?

Joggerin: Die Beamtinnen rätselten selber. Jedenfalls kommen laut ihrer Aussage aktuell sämtliche Anweisungen von ganz oben. Dringlichkeitsstufe Rot.

Spaziergänger 1: Rot wie die Strichelchen.

Joggerin: Schon merkwürdig. Nirgendwo auch nur eine verirrte Menschenseele unterwegs.

Spaziergänger 1: Nicht einmal auf der üblicherweise gut frequentierten Obertshäuser Wegschneise.

Joggerin: Die trotz des Namens vollständig zu Offenbach gehört. Hohe Bußgeldandrohungen wirken. Mein Freund studiert ja Jura.

Spaziergänger: Bestimmt irgendwo ein scharfer Blindgänger. Da bleibt Behörden gar nichts anderes übrig als weitläufig abzusperren. Wenn solche Dinger explodieren, mein lieber Mann! Die Evakuierung in Frankfurt am Main am 03. September 2017 zeigte, welch immense Gefahren von Weltkriegsbomben für die Bevölkerung ausgehen.

Joggerin: In der Hessenschau erfahren wir garantiert Näheres.

27. 07. 2025

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