#19 TG

Szene XIX: Engpässe

Reiseblogger Lars: Bonjour. Ausgeschlafen?

Reiseblogger Volker: Ihr nötigtet Seine Durchlaucht zum unfreiwilligen arrêt.

Reisebloggerin Lana: Blablablablabla!

Reisebloggerin Muriel: Nichts für ungut, Dennis, kommt nicht wieder vor.

Reisebloggerin Lana: Wir Fünf waren SO ins Gespräch vertieft.

Reisebloggerin Josephine: Bitte, vergib uns.

Graf von Hanau-Münzenberg: Ei, Mädschen, macht eusch emol locker! Kleinere Trödeleien passieren in den besten Reisegruppen. Fataler wär’s, nach erlebnisreichem Landgang dem Kreuzfahrtschiff Bon voyage! hinterherzuwinken.

Reisebloggerinnen Muriel, Josephine, Delara, Chloe, Lana: Hihihihihihihihihihi!

Reisebloggerin Sandra: Dennis, nicht weitergehen, Viktoria hat noch eine Frage!

Graf von Hanau-Münzenberg: Ja, Viktoria?

Reisebloggerin Viktoria: Ich schaue grad nochmal in Richtung Schlosstor. Was sind das seitlich davon eigentlich für Gebäude?

Graf von Hanau-Münzenerg: Unser Grand Commun. Der linke Teil für Männer, der rechte für Frauen. Heillos überbelegt.

Reisebloggerin Viktoria: Verstehe nicht ganz.

Reiseblogger Volker: Gab’s schon bei Ludwig XIV..

Graf von Hanau-Münzenberg: 100 Punkte, mein Junge. Ich merke voller Begeisterung, dass du dich in der Materie auskennst.

Reiseblogger Volker: Meine Freundin Élodie ist Pariserin und hat ihn mir mal gezeigt. Geheimtipp. Bei den 08/15 Versailles-Touristen quasi unbekannt.

Reisebloggerin Viktoria: Was hatte es denn mit dem Grand Commun damals auf sich?

Reiseblogger Volker: Der Grand Commun, 1682 bis 1684 von Jules Hardouin-Mansart in unmittelbarer Nähe des Versailler Schlosses erbaut, bildete eine aus blanker Not heraus entstandene Zweckkombination aus Wirtschaftsgebäude und Kavaliershaus. Um der chronisch katastrophalen Wohnraum-situation im Schloss wenigstens einigermaßen entgegen-zusteuern, richtete man im Wirtschaftsbau zusätzliche Appartements für die Unmengen an rangniedrigen Höflingen sowie auswärtigen Gästen ein.

Reisebloggerin Chloe: Oh, Gott! Billige Unterkünfte! Wie erniedrigend!

Reiseblogger Volker: Weshalb der Grand Commun beim Hofstaat berechtigterweise den Ruf einer wenig erstrebenswerten Absteigeadresse genoss. Zu unstandesgemäß.

Reisebloggerin Janine: Klasse Zeiten.

Reiseblogger Caren: Kann es sein, Dennis, dass du über die in jener Ära tatsächlich herrschenden Verhältnisse lediglich halbwegs informiert bist? Ludwigs legendäre Feste, Jean-Baptiste Lullys grandiose Opernwerke, all das spiegelte nur die eine Seite der Medaille wieder. Nicht, Schatz?

Reiseblogger Tobias: Oberwahr, Schatz! Weiß noch, mein Geschichtslehrer erwähnte in der Jahrgangsstufe 12 jene die tables secondaires für den niedrigen Beamten; das, was Seine Majestät am Banketttisch liegenließ.

Reisebloggerin Leonie: Reste-Essen?

Reiseblogger Volker: Vieles ist längst nicht so neu, wie Ottonormalverbraucher oftmals denkt.

Reisbloggerin Caren: Dennis romantisiert. Dennis idealisiert. Wäre der Absolutismus wirklich eine geniale Erfindung gewesen, gäb’s das ancien régime ja weiterhin, und er hätte 2017 keinen aufwendigen Neustart gebraucht. Nicht wahr, Schnatz?

Reiseblogger Tobias: Oberoberwahr, Schatz! Seine Durchlaucht träumt. Seine Durchlaucht lebt augenscheinlich in Wunsch-vorstellungen; in Welten, die realiter niemals so existierten.

Reiseblogger Peter: Da hilft es auch nicht, wenn wir am heutigen 17. September 2021 wie am 17. September 1777 herumlatschen. Komme mir vor wie ein Zirkusclown.

Reiseblogger Urs: Diese Zopfperückli, dieses weiße poudre à maquillage, diese Lackschühli da, nicht sär bequäm, odr?

Reisebloggerin Chloe: Also, ich weiß nicht, was ihr wollt. Als Frau jedenfalls imponiert es mir an Dennis‘ vornehmen Hofe ungemein, dass sich überlieferter Courtoisie verpflichtet fühlende Männer etikettengemäß zur Begrüßung galant verbeugen.

Reisebloggerin Lana: „Madame, gestatten, dass ich Ihr respektvoll jenen Gruß entbiete, welcher im 18. Jahrhundert bei allen höfischen Kavalieren Brauch gewesen?“ Wahlweise auf Französisch oder Hessisch, den beiden anderen Amtssprachen.

Reisebloggerin Muriel: Dies zeugt von hoher Achtung unserem Geschlecht gegenüber. Kein lapidares Hallo!, Hi!, Guten Tag!.

Reisebloggerin Chloe: Wahr, Süße. Und überhaupt, ich habe mich sofort bei der Einkleidung -als drei Kleiderarten zur Auswahl standen- auf den ersten Blick in diese bezaubernde robe à la Polonaise verliebt. Aber wirklich so was von verliebt! Es ist einfach unglaublich, um 1775/1780 getragene Damenmode hebt meine weibliche Persönlichkeit viel ausdrucksvoller hervor. Ein völlig neuer Erfahrungshorizont.

Reisebloggerin Lana: Für dich auch?

Reisebloggerin Delara: In mir erfolgte derselbe Bewusstseins-wandel. Erst durch jenen dank Schloss Philippsruhe möglich gewordenen Vergleich, wurde Delara schlagartig klar: Bislang kaufte sie, die sich als mutige Feministin verstand, frauenfeindlich ein! Von nun an ausschließlich in langen, weiten, Reize verbergen-den Röcken und Kleidern aus dem Haus; wie sich’s für anständige Weiblichkeit ziemt. Fräulein Delara benötigt fortan weder das Wort Weltfrauentag noch Feministischer Kampftag. Ins Feuer mit meinen aufreizenden Miniröcken und knallengen Jeans! Ins Feuer!

Reiseblogger Lars: Ey, Girls, was geht denn mit euch ab?

Reisebloggerin Delara: Tse! Macho!

Reisebloggerin Josephine: Verärgert, weil’s nichts mehr zu gaffen gibt?

Graf von Hanau-Münzenberg: Verzeihung, dürfte ich kurz um Ruhe bitten?

Reisebloggerin Lana: Chut, chut! Denis veut parler!

Graf von Hanau-Münzenberg: Ei, gude Leute, rückt doch all emol n Stück näher! Isch erklärs eusch. All jetzt emol e bissi näher!

Reisebloggerin Lana: Mon dieu, wie aufregend! Dennis Kevin I. von Gottes Gnaden Graf von Hanau-Münzenberg winkt uns huldvoll heran!

Reisebloggerin Chloe: Dabei hätte er genügend Anlass, beleidigt oder patzig zu reagieren.

Reisebloggerin Muriel: So wie sich hier gewisse Subjekte vor ihm gebärden.

Graf von Hanau-Münzenberg: Als absolutistischer Regent bin ich über die prekären Wohnverhältnisse natürlich vollständig im Bilde. Seid versichert, die spartanische Dachlogis ist nicht bis in alle Ewigkeit als Status quo in Stein gemeißelt.

Reisebloggerin Louise: Dein Wort in Gottes Ohr. Bei DEM Mini-abstand zur Wand schafft man’s kaum die Bettleiter rauf. Und richte Zimtzicke Abigail liebe Grüße aus, sie möge sich im Zimmer nicht als Queen of New York aufspielen. 2 Doppelbetten, 1 harte Pritsche, Pech wenn sie am selben Tag eintrifft und beim Losen verliert.

Graf von Hanau-Münzenberg: Isch richt’s aus.

Reisebloggerin Louise: Thanks.

Graf von Hanau-Münzenberg: Uffgebasst. Der Hintergrund ist, Schloss Philippsruhe wirkt wie ein strahlender Magnet auf weite Teile des europäischen sowie asiatischen Adels. Lasst euch von der gerissenen Firma Klickda & Co., sprich, unwürdigen Adligen, welchen der Mainstream im Auftrag der Acht Weltkaiser schäbigen Judaslohn hinblättert, damit sie naiven Menschen honigversüßte Fake News ums Maul schmieren, nicht ins Bockshorn jagen.

Reiseblogger Peter: Freiherr Egon Ulrich Balthasar von und zu der Steckelsburg stellt seine private Burganlage großherzig als vorübergehendes Notquartier zur Verfügung. Etliche Blaublütige kehren dem von dir allseits gepriesenen Nouveau Château de Versailles frustriert und enttäuscht übereilt den Rücken, die ausländischen wissen jedoch meist auf die Schnelle nicht wohin.

Reiseblogger Michael: Die Steckelsburg nahe Schlüchtern, Auffanglager für Gestrandete. A heart for aristocrats, ein erschütternder Youtubekanal.

Graf von Hanau-Münzenberg: Faktencheck. Von überall her eilen Traditionsverbundene adligen Geblüts begeistert herbei oder schicken ihre Kinder für längere Aufenthalte hierher – trotz Coronapandemie. Brandaktuelles Beispiel, vor vier Tagen trafen die zwei hinreißenden Töchter eines allmächtigen schottischen Clanchefs ein. Patricia und Deborah. Aufgewachsen im Castle. Eliteinternat im Castle. Eliteuniversität im Castle. Die kennen mit ihren 20 und 21 Jahren nichts anders. Castles sind seit Geburt deren Lebenssinn. Uralter Feudaladel. Wappenmotto: Never speak with the common man. Auf elterliches Geheiß hin unterbrachen beide ihr Jurastudium, weilen nun auf Schloss Philippsruhe.

Reiseblogger Andreas: Great Himalaya Andy ist zu Zeit Single. Kannst du sie ihm bei Gelegenheit vorstellen?

Graf von Hanau-Münzenberg: Auf welche Weise, ihr lieben Leute, sollte ich eurer Meinung nach Patricia und Deborah beherbergen? Ihnen bürgerliche Stadtwohnungen zur Verfügung stellen? Im hoffnungslos ausgebuchten Grand Commun, der keinen einzigen Neuzugang mehr verkraften würde, auf Biegen und Brechen hinterm Besenschrank doch noch ein freies Plätzchen auftreiben? Selbst in den tiefsten Highlands gehören 2021 Instagramaccounts zum gewohnten Alltag. Was meint ihr, wie viele Follower die in Schottlands Clanwelt haben! Ein empörter Post -der wird natürlich prompt fleißig geteilt- und keine 24 Stunden später steht die Grafschaft Hanau-Münzenberg bis hinein in den Buckingham Palace als Armenhaus Europas da. Für Klatsch- und Tratsch bei Großbritanniens Tea-Time ist somit ausreichend Stoff vorhanden. Dennis Kevin I. von Gottes Gnaden Graf von Hanau-Münzenberg, finanziell nicht imstande zur adäquaten Unterbringung vom Loch Duich angereister junger hochgestellter adliger Ladies. Nach solchen Nachrichten lechzen Berlin, Brüssel und Washington doch nur.

Reiseblogger Peter: Asche über mein Haupt. So weit hatte ich gar nicht gedacht. Worauf absolutistische Fürsten alles achten müssen.

Reiseblogger Andreas: Asche auch über mein Haupt.

Graf von Hanau-Münzenberg: Langer Rede kurzer Sinn, Prioritätensetzung lautet das Zauberwort. Schloss Philippsruhe platzt aus allen Nähten. Professionelles Hotelmanagement -ohne jemanden im Adelsstolz zu kränken- will da wohlgelernt sein. Patricia und Deborah beanspruchen 50% des gräflichen Wohn-stockwerks, zwingen sogar Hanau-Münzenbergs Vorzeigefamilie zum engeren Zusammenrücken.

Reisebloggerin Muriel: Verzeih, Dennis, auch mir ungerecht Urteilenden gegen dich gehegten Undank!

Reisebloggerin Chloe: Hochmächtiger Dennis, voller Demut nacheinander des allergnädigsten Herrn kostbare Schuhspitzen mit heißesten Küssen zu bedecken wäre heilige Pflicht aller.

Reisebloggerin Lana: Weil Seine Durchlaucht es irgendwelchen dahergelaufenen Reisebloggern nicht verbot, auch nur die erste Treppenstufe zum sakrosankten Elysium zu betreten.

Reisebloggerin Sandra: Hiermit übe ich öffentlich Selbstkritik! Ich gestehe abscheuliche, von mir begangene Verbrechen! Mein von aus dem Ausland gelenkten subversiven Elementen, mein von Saboteuren, mein von fremden Geheimdiensten manipulierter Verstand bezweifelte Weisheit, Vorausschau und Umsichtigkeit unseres über alles geliebten Vorsitzenden! Großer Steuermann, maßregele mich! Weise mich zur Strafe aus deinem ruhmvollen, friedliebenden Märchenstaat aus! Ich hätte begreifen müssen, im Nouveau Château de Versailles gebührt ranghohem Besuch grundsätzlich das erlesenste Filetstück! Wer bin ich im 25. Stock eines DDR-Plattenbaus kläglich Hausende eigentlich, dass ich mich überheblich erdreiste?

Graf von Hanau-Münzenberg: Mes aimables et chers enfants! Écoutez! Nous vous accordons le pardon!

Reisebloggerin Delara: OH, QUELLE GRÂCE IMMÉRITÉE!!!!!

Reisebloggerin Sandra: FREUNDSCHAFT!!!!!

Graf vom Hanau-Münzenberg: Und jetzt kommt das Beste. Der Souverän bringt erfreuliche Nachrichten. Schloss Philippsruhe arbeitet fieberhaft an diesem Problem.

05. 04. 2025

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