#9 FP

Szene IX: Wechsel des Geschäftsmodells

Landwirt: Schappo, kleine Mädamms, Schappo! Wahrlich, ihr habt ordentlich was unter eurer hübschen Lockenpracht sitzen, versteht euch hochgebildet auszudrücken. Ei, was strahlte der Graf übers ganze Gesicht, weil Alles Roger in Kambodscha war. „Heißa, heut ist ‚Siebenschläfertag‘, Kaiserwetter, fürwahr, da will mir alles gelingen!“, schrie er happy, heizte voll Karacho mit nem Megafon bewaffnet rein in den Hattsteiner Hof, riss oben eins der Vorbaufenster sperrangelweit auf, zeigte sich aus dem Erker seiner wie aus einer Kehle losbrausenden Elite. Die toll gewordene Meute donnerte auf Deutsch und Französisch wild durcheinander:

„Du bist Gott!!!!!“

„Tu es Dieu!!!!!“

„Du bist Ludwig XIV.!!!!!“

„Tu es Louis XIV.!!!!!

Hofdame Sylvie: Dennis Kevins fanatischster Anhängerkreis aus dem europäischen Adel; hält ihn entweder tatsächlich für Gott oder aber eine Inkarnation des Sonnenkönigs.

Hofdame Chantal: Selbstredend, dass der Zutritt ins Burginnere nur den treusten Getreuen vorbehalten blieb. Das offizielle Argument Sicherheit – bloß vorgeschoben.

Hofdame Veronique: Und wie ging’s weiter?

Landwirt: Zwischenzeitlich waren Fernsehleute herbeigestürzt, richteten Übertragungskameras auf ihn. Wahnsinn!

Hofdame Chantal: Wieso Wahnsinn? Die Menschen außerhalb des VIP-Bereichs wollten schließlich auf den Leinwandbildschirmen auch was vom Geschehen mitbekommen.

Landwirt: Eeeeeiiiii, Mädamms, lasst mich doch mal babbeln. Also, Mässjäh hielt ne Wahlkampfrede vom Feinsten, versprach hoch und heilig, sollte Schloss Philippsruhe die Abstimmung gewinnen, werde er Münzenberg sogleich in einen bis dahin noch nie dagewesenen Mittelalter-Vergnügungspark verwandeln, in einen Mix aus Disneyland und Disneyworld, mit einem echten Königspaar in der Burg. Ei, verflixt, jetzt sind mir deren Namen entfallen!

Hofdame Chantal: Artus und Guinevra?

Landwirt: Eeeeeeeeeeiiiiiiiiii, gnäääää, täss wors, tä Atthuuß unn ti Künnäffra!!!!! TIE boide känn isch, tie usm Määrsche do!!!!!

Hofdame Sylvie: Hochdeutsch, Bauer, Hochdeutsch!

Landwirt: Der Artus und die Guinevra würden da mit den Rittern, Burgfräuleins, Knappen, Dienern, Mägden residieren und prächtig Hof halten, schmetterten Versprechungen durch die Luft. Der Artus und die Guinevra würden dem Volk rauschende Feste geben mit Spielen, Turnieren, Musikanten, Gauklern, erlesensten Speisen und Getränken – wie sich’s für vornehme Königsleute gehört. Auf beziehungsweise vor der Burg sowie ringsum Münzenberg würden das ganze Jahr über Artuserzählungen live nachgespielt, und stets zu Weihnachten täte irgendein bombastischer Zauberer Wünsche erfüllen.

Hofdame Veronique: Merlin.

Hofdame Yvette: Clevere Strategie, das Wetterauer Tintenfass samt Umgebung touristisch gnadenlos zu vermarkten.

Hofdame Sylvie: Wie reagierten die Münzenberger?

Landwirt: Ei, die Margot und ihr Herbert überboten sich förmlich im Rumkreischen:

„Wir haben für alle Zeiten ausgesorgt!!!!!“

„6 Richtige mit Superzahl!!!!!“

„Der Zauberer wird uns reich machen!!!!!

Hofdame Veronique: Da glänzten bei zweien wohl schon im Vorfeld leuchtende Dollar-Zeichen in den raffgierigen Augen.

Landwirt: Mädamms, wir sind eine wirtschaftlich schwache Gegend, da sah jeder prompt den dicken Reibach vor sich. Mega-parks locken Gäste. Der Tourismus boomt. Disneyland bringt Geld. Disneyworld schafft Arbeitsplätze. Hotels Restaurants, Bars, Kneipen, Clubdiskotheken, Einkaufszentren. Die Umgebung floriert.

Hofdame Sylvie: Na jaaaaa…so beim ersten Eindruck…Münzenberg ähnelt Anaheim oder Orlando eher weniger – trotz städtebaulicher Veränderungen.

Landwirt: Weil der Schuft uns betrogen hat. Nix Artus. Nix Guinevra. Das Burggemäuer, genauso leerstehend wie 2018. Kein einziges Burgfräulein stolzierte jemals umher. Feste? Spiele? Sagt an, Mässjäh, wo bleibt Sir Gawain, der wackere Rittersmann hoch zu Ross durch Münzenberg? Ei, leckt mich doch am Ärmel!

Hofdame Chantal: Jetzt rege er sich mal nicht künstlich auf. Gewiss sprachen plausible Gründe dagegen.

Hofdame Sylvie: Vielleicht haperte es schlicht an Umsetzungs-möglichkeiten.

Hofdame Yvette: Ich vermisse beispielsweise jenes tiefe, schier undurchdringliche Waldgebiet.

Hofdame Sylvie: Mit dem darin gelegenen See.

Hofdame Chantal: Und den Quellen.

Hofdame Yvette: Folglich keinen Forêt de Brocéliande, keinen Lac de Comper, keine Fontaine de Barenton.

Hofdame Veronique: Unabdingbare Voraussetzungen für ein authentisches Artusreich.

Hofdame Yvette: Der Bauer sieht, erklärbar.

Landwirt: Näääää, näääää, Mädamms, der hat fix geschnallt, dass Presstisch Eisenbahnstrecken einträglicher sind, weil…

Hofdame Chantal: Prestige, Bauer, Prestige.

Hofdame Sylvie: Hui, wie die Bahn wieder lossaust!

Landwirt: Ei, Mädamms, ein moderner attraktiver Schienen-nahverkehr mit flotten Triebwagenzügen und dichter Taktfolge ist Münzenbergs einzige rettende Hoffnung, endlich der täglich über uns hereinbrechenden Apokalypse Herr zu werden.

Hofdame Sylvie: Apokalypse?

Landwirt: Münzenberg erstickt seit letztem Jahr qualvoll in unaufhörlichen Blechlawinen. PKWs, Busse, Motorräder, praktisch das gesamte Rhein-Main Gebiet will spottgünstig einkaufen. Trotz Krise. Hanau-Münzenbergs großangelegtes Bahnprojekt soll neben seiner politisch symbolträchtigen Wirkung daher zugleich die dringend benötigte Abhilfe schaffen und jenen Horden wildgewor-dener Sparfüchse echte Alternativen zur Straße bieten.

Hofdame Sylvie: Sparfüchse?

Landwirt: Seht ihr links von der Zugtrasse das rot gedeckte Gebäude?

Hofdame Yvette: Also, Herr Bauer, verkaufen Sie uns bitte nicht für dumm! Wir standen doch vorhin dort an den Büschen!

Hofdame Chantal: Eine alte Scheune, na und?

Landwirt: Alte Scheune? Fast nigelnagelneu, der Schuppen. Münzenbergs erster Duty Free. Anfang Februar 2020 eröffnet, kurz vor Corona.

Hofdame Sylvie: Ein Duty Free?

Landwirt: Nummer 1 von mittlerweile insgesamt 10. Trotz Krise. Alle kaufmännisch geschickt auf altmodisch getrimmt, damit sie fleißig in Scharen reinströmen. Hinter allem steckt ein ausgeklügeltes System. Was Wörtchen alt zieht. Was glaubt ihr, warum haben die Frankfurter 2018 ihre Altstadt neu eröffnet? Heute am 24. August 2021 herrscht im Duty Free freilich gähnende Leere, heute ziehts den Einkaufstouristen zum ausgiebigen Feiern.

Hofdame Yvette: Aus gebührendem Anlass.

Landwirt: Außerdem befindet sich der Eingang mit dem Schild zur anderen Seite; deshalb habt ihr das Shoppingparadies übersehen.

Hofdame Sylvie: Dachte schon, ich wär blöd.

Landwirt: Mädamms, Zollfreier Einkauf heißt hier das Zauberwort. Eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen. Trotz Krise. Das Geschäft brummt dermaßen, dass der Supermarkt Ende September schließt, abgerissen wird, und an seiner Stelle 2024 eine Wasserburg pünktlich zum Beginn des Weihnachtsrummels als zusätzlicher Super Duty Free ihr Tor herunterlässt.

Hofdame Yvette: Na also, Problem gelöst. Bei so einem mächtigen Zauberwort bedarf es keines Zauberers – der ja dann auch noch massig Gage verlangt.

Hofdamen Chantal, Veronique, Sylvie: Hihihihihihihihihihi!

Landwirt: Das ist nicht lustig. Auf dem Scheunengelände stand vorher ein Wäldchen. Abgeholzt. Platt gemacht. Wie unsere Salzwiesen. Barbaren! Ä za zä la frä rässongg, Mädamms, borkua schä räffüss la mott hässtorrikk.

Hofdame Chantal: Ach, daaaaaher rührt sein Hang zur Kleider-Verweigerung.

Hofdame Sylvie: Schnell, 1 Portion Mitleid für den Mann. Regionale Zukunftskonzepte fordern Zugeständnisse. Geben und Nehmen. Win-Win-Situation. Ihr Wetterauer könnt nicht alles haben.

Hofdame Yvette: Oder sollen wir etwas veranlassen, dass Seine Durchlaucht in Babenhausen Ersatz aufforstet?

30. 03. 2025

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