Szene XI: Bankgeschäfte
Karussellpferd Leporello: Und weil ihm Dinge nie flott genug gehen, übernahm Mister Emporkömmling von drinnen in höchsteigener Person den Kutscherruf: „Hüüüüüaaaaa! Hüüüüüaaaaa!“ Woraufhin Wilhelmsbads ehrbare Karussellgeschöpfe mit vielfarbigen Kringelschleifen, gruseligen Mähnenfrisuren, klingelndem Gebimmel sowie aufgezwungenen Rufen „So machet den Platz für Dennis Kevin I. von Gottes Gnaden Graf von Hanau-Münzenberg!“ die letzte Kutschetappe ebenso verdrossen bewältigten wie die erste.
Karussellpferd Theluma: Am Ziel angekommen werden wir allesamt fassungslose Beobachter eines den Balkontauftritt wahrlich toppenden, schändlichen Schmierentheaters, welches selbst Snob Auguste beschämt. Kaum ausgestiegen stolziert unser Regent auf eine Sitzbank zu, macht sich sogleich daran, sie kühn zu erklimmen; ungeachtet der für dieses Material eindeutig unpassenden Schnallenschuhe.
Karussellpferd Leporello: Balla, balla! Entsprechend stieß sein rutschiges Vorhaben schon beim ersten von insgesamt sechzehn grotesk anmutenden Versuchen auf unüberwindbare Hürden; daraufhin erbost seine Kutscher herbeibefehlend erlangte er schließlich dank helfender Hände zumindest einigermaßen Standfestigkeit. Politisch betrachtet bedenklich wacklig.
Karussellpferd Theluma: Nichtsdestotrotz imitiert Herr Kaiser, auf jener Sitzgelegenheit die Theodor-Heuss-Schule anvisierend, mehr schlecht als recht Ludwigs XIV. berühmte Pose; gnädig geneigt, zwei privilegierte Stadtteile an Hanau-Münzenbergs erster politischer Entscheidung seit 1736 huldvoll partizipieren zu lassen.
Karussellpferd Leporello: „Wir, Dennis Kevin I., à partir d’aujourd’hui von Gottes Gnaden Graf von Hanau-Münzenberg“, säuselten hochnäsige Laute aus beiden Nasenlöchern, „tun Unseren durchlauchtesten Willen kund, die auch unter den Namen ‚Steinheim‘, weiterhin ‚Klein-Auheim‘, bekannten Stadtteile ab itzo bis ad finem mundi gar nimmermehr Unserer strahlend Grafschaft trefflich Eigentum heißen zu wollen. Mögen deren Bewohner sich fortan Mühlheim anschließen, Hainburg, Obertshausen, oder ad libitum -wie vor der Gebietsreform- selbstständige Stadt werden. Wisset, es sei Uns bei Hofe einerlei.“
Fabian: Und DER regiert uns?
Carla: Bingo!
Karussellpferd Theluma: Was für ein arroganter Schnösel!
Karussellpferd Leporello: Sprachs, und kletterte manuell in gleicher Weise gesichert wieder hinab auf festen Boden. Widerwillig. Zu gerne hätte Herr Kaiser seinen gefällten Beschluss präziser ausgeführt; indes, die vorangeschrittene Zeit mahnte Dringlichkeitsstufe 1 an. „Daran seid allein ihr lahmen Esel Schuld!“, versuchte er daraufhin tolldreist mit uns Schwarzer Peter zu spielen.
Karussellpferd Theluma: Was jedoch im Anschluss folgte, schlug dem Fass endgültig den Boden aus. Zur Bestätigung zog er unversehens seinen am Griff mit kostspieliger Muga-Seide umwickelten, in Toledo angefertigten Degen, verpasste der unschuldigen Sitzmöglichkeit wuchtig eine Kerbe ins Holz. Pferde und Pferdchen schäumten. Heinrich schwieg eisern. Desgleichen Kollege Stefan. „Sehet, Unser gräflich Beglaubigungssiegel!“, höhnte Alessa Maries Vater.
Melissa: Krass. Dem sind echt seine Jackpot-Gewinne zu Kopf gestiegen.
Karussellpferd Leporello: Kommt noch besser. Zeitgleich gewann im Dauerwettstreit zischen Wolken und Sonne neuerlich intensiver Lichtschein die Oberhand. Arme weit ausgebreitet strahlte Graf Prahlhans verklärt empor, schwärmte verzückt.
Karussellpferd Theluma: „Ooooooooooooooohhhhh, glückliches Hanau! Merke auf, vernehme die Kunde! Ludwig XIV., le Roi Soleil même, segnet vom Himmel aus Unsere unwiderrufliche Grenzfestlegung avec grand plaisir mit hehrem Glanze!“
Karussellpferd Leporello: Obwohl er sich hiernach für die Weiterfahrt schleunigst zum protzigen Gefährt begab, ließ ich es mir als Karussellpferd freilich nicht nehmen, beide Vorderhufe flink exakt dort aufzusetzen, wo Seine Durchlaucht soeben Ludwig XIV. gepriesen hatte. Sprachlos betrachtete ich die vom Waffenstück brutal malträtierte Sitzgelegenheit.

„Staatsmännischer Dilettant! Vollblutpolitiker!“, spottete ich gedanklich.„Gibst rein emotional zwei sehr wichtige Stadtteile jenseits des Flusses schwuppdiwupp bedenkenlos auf; nur weil der hinter der Sitzbank fließende Main unter Johann Reinhard III. den natürlichen Grenzverlauf zwischen der ‚Grafschaft Hanau-Münzenberg‘ und dem ‚Kurfürstentum Mainz‘ markierte.“
Karussellpferd Theluma: Als unser Held kurz darauf am Bahnhof Wolfgang den verzapften Schildbürgersteich selbst begriff, war’s längst vorbei, weil entsprechend formulierte Mails bereits ihre Empfänger erreicht hatten.
Melissa: Jeeeeeeeeeetzt leuchtet mit endlich ein, warum die Grenze seit 2017 mitten im Main verläuft; normalerweise käme der Übergang einige Kilometer weiter. Mama und Papa sprechen zwar oft darüber, richtig erklären können sie es aber nie.
Fabian: Und unsere Lehrer brauchst du gar nicht erst testen, die wissen eh nix.
Karussellpferd Leporello: Oder dürfen aus politischen Gründen nichts sagen. In jedem Klassenzimmer hängen bekanntlich Porträts vom Graf und vom Sonnenkönig. Zudem müsst ihr historische Schuluniform tragen; Hanau-Münzenbergs bedauernswerte Schüler laufen wie im 18. Jahrhundert herausgeputzte Kinder beziehungsweise Jugendliche umher.
Melissa: Diese Teile, voll unbequem.
Carla: Wegen der komplizierten Frisur morgens eine Stunde früher aufstehen. Toll!
Melissa: Nervt unendlich, Mama soll mir eine Perücke kaufen. Und immer das blöde weiße Schminkpuder im Gesicht.
Carla: Dazu dieser dämliche schwarze Schönheitsfleck auf der Wange, wehe, er ist nicht drauf; dabei überdeckt ihn sowieso die Corona-Schutzmaske.
Fabian: Fühle mich wie auf den Bildern, die Mozart als Kind zeigen. Wie affig ist das denn?
Melissa: Ernsthaft, die Angeberinnen Paula und Anna gehen darin auch nach dem Unterricht. Freiwillig. Fürs Wochenende und für die Ferien besitzen sie sogar eigene Rokokokleider.
Carla: Die laufen außerhalb des Unterrichts doch nur so rum; weil’s der Graf empfiehlt.
Fabian: Damian auch.
Carla: Damian wird übel gezwungen. Seine Eltern stehen wie die von Paula und Anna voll hinter dem Graf. In Wirklichkeit hasst Damian Mode aus dem 18. Jahrhundert.
Melissa: Aber, Leporello, IHR könntet reden!
Fabian: Heinrich und Stefan werden niemals durch Ausplaudern ihre angesehenen Kutscherjobs riskieren – gerade in Krisenzeiten! Und, seid ehrlich, Mädels, wer glaubt Pferden oder Karussellwesen?
12. 10. 2025
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