Aus den gedanklichen Memoiren der Alessa Marie Marquise de Hanau-Münzenberg Fürstäbtissin von Ilbenstadt
Erzählrunde 3
Szene I: Fährgeschichten
Zeitungsmitarbeiter: Aaaaaaaaaahhhhh, welche Erholung! Entspannt am Ufer des Ärmelkanals auf einer Bank sitzen und das herrliche Panorama genießen! Herz, was willst du mehr?
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: An der Straße von Dover lässt sich’s in der Tat gut leben. Mais attention, denk an deine Zopfperücke, Thorsten! Ich habe dich gewarnt!
Zeitungsmitarbeiter: Geht schon, Alessa Marie. Oh, guck, drüben in England hat soeben die Fähre abgelegt.

Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Die letzte nach Frankreich.
Zeitungsmitarbeiter: Bedauerlich – aber nachvollziehbar. Unrentabel geworden. Die Energiekrise schlägt voll durch. Seit Februar exorbitant gestiegene Preise. Hohe Betriebskosten. Rote Zahlen. Rechnet sich wirtschaftlich unterm Strich einfach nicht mehr. Alles nur wegen Russland! OOOOOOOOOOHHHHH…DIESER… DIESER…DIESER…DIESER…PUUUUUUUUUUHHHHH…MEIN HERZ!!!!!
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Jetzt hab dich doch als Mann bitte endlich mal im Griff, Thorsten! Ich will nicht den Notruf wählen müssen! Weißt du eigentlich, wie infantil du rüberkommst?
Zeitungsmitarbeiter: Entschuldige bitte vielmals, Alessa Marie, entschuldige, bitte! Derzeit ist nervlich einfach alles zu viel für mich. Nach Corona kam die Ukraine. Der Krieg hat uns gerade noch gefehlt.
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Kannst du’s ändern?
Zeitungsmitarbeiter: Nein, natürlich nicht.
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Siehste.
Zeitungsmitarbeiter: Ich meine ja nur, Leitragende sind wie immer die Berufspendler. Durch das betriebliche Aus müssen sie künftig noch weitere Umwege in Kauf nehmen, weil die Mainfähre Mühlheim bekanntlich 2017 – zunächst vorläufig- eingestellt wurde. Apropos, Alessa Marie, man munkelt allenthalben, dass es bei der Stilllegung weniger um jene Sicherheitsverstöße ging, welche zur fristlosen Pachtvertragskündigung seitens des Kreises Offenbach führten, sondern dein Vater 2019 vielmehr seine unumschränkte Macht zur Schau stellte. Als Resultat eurer territorialen Ausdehnung markiert dort ja die Mainmitte den natürlichen Grenzverlauf zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Grafschaft Hanau-Münzenberg.
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Papa?
Zeitungsmitarbeiter: Als Akt purer absolutistischer Willkür ließ er die Wiederinbetriebnahme gleich am ersten Tag sabotieren. Seil gerissen. Zufällig auf Hanau-Münzenbergischer Seite. Finito. Ende Gelände.
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Was verbreitest du da nur für wirre, haltlose Verschwörungstheorien, Klatschreporter Thorsten? Lässt dir von Schwätzern wohl jeden Bären aufbinden? Haste überhaupt selbst recherchiert?
Zeitungsreporter: Äh…
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Also abgekupfert. Und anfangs war ich wirklich felsenfest davon überzeugt, mein Thorsten sei noch so ein Rasender Reporter von der alten Sorte. Old School. Na ja, ausgestorbene Spezies, leichtgläubige Grafentöchter kennen Enttäuschungen zur Genüge.
Zeitungsreporter: Nein…Alessa Marie….äh…nein…äh…nein…so meinte ich…äh…ich wollte damit nur sa…
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Still, Thorsten! Durch dein Gequatsche sind wir vom Thema abgekommen. Die Sache mit der letzten Fähre. Eigentlich wollte ich’s dir schon seit fünf Minuten erzählen.
Zeitungsreporter: Oh, mein Gott, Alessa Marie, es tut mir so unendlich leid. Bitte, Alessa Marie, bitte, erklär’s deinem Thorsten!
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Ok. Weil du’s bist.
Zeitungsmitarbeiter: Tausend Dank, Alessa Marie, tausend Dank!
Fürstäbtissin von Ilbenenstadt: Nicht dafür. Also. Maman erreicht d’un moment à l’autre samt großem Gefolge drüben den Bischofsheimer Anleger, um überzusetzen; heute beginnt nämlich ihre vierwöchige Sommerfrische im Rumpenheimer Schloss. Maman, ihre langjährige Busenfreundin -und das im wortwörtlichen Sinn- sowie acht neu eingestellte Hofdamen. Am wichtigsten dabei, standesgemäße Garderobe wie um 1775/1780; kannst dir bei Frauen ausmalen, wie viele Gepäckkutschen anrattern werden. Drum heißt es für den öffentlichen Fährbetrieb vorerst: „Rien ne va plus!“ Denn da passen pro Überfahrt nur maximal zwei Karossen drauf, und bei annährend zweihundert…
Zeitungsmitarbeiter: HUUUUUUUUUCCCCCHHHHH!!!!!

Gottseidank! Mein Herz! Befürchtete den verkehrstechnischen Super-GAU! Erst 2020 das definitive Aus zwischen Mühlheim und Dörnigheim, 2022 nun hier. Wohin hätten die Autofahrer denn noch ausweichen sollen?
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Was brabbelst du vor dich hin, Thorsten?
Zeitungsmitarbeiter: Bange Schrecksekunden eben. Dachte, die schwerfällige Fähre bricht in der Flussmitte auseinander.
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Warum sollte sie?
Zeitungsreporter: Wirkt arg baufällig. Kämpft sich mühsam ächzend durchs Wasser. Muss schon extra an Seilen befestigt werden, damit sie nicht hilflos mainabwärts treibt.
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Eine Fata Morgana, Thorsten, hervorgerufen durch die heutigen Temperaturen. Brief und Siegel, auf der bist du sicher wie in Abrahams Schoß. Nie etwas von seilbetriebenen Fähren gehört?
Zeitungsmitarbeiter: Bin aktuell echt zu nichts imstande, Alessa Marie, brauche Schatten, Ruhe und besten dazu noch ne Abkühlung. 36 Grad soll’s geben.
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Kein Ding, Thorsten.
Zeitungmitarbeiter: Fast geschafft.

Wahre Glückspilze, müssten sonst geduldig abwarten, bis auch die letzte Kutsche den Main überquert hat.
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Hahahahahahahahahaha!!!!!
Zeitungsmitarbeiter: Warum lachst du so schadenfroh?
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Bis auf einen.

Zeitungsmitarbeiter: Stehe irgendwie auf dem Schlauch.
Fürstäbtissin von Ilbenstadt: Dieser PKW. Gerade angerollt. Pech. Wird ne lange Durststrecke. Vor allem, dort darf er nicht stehenbleiben, bald taucht der Tross auf.
Zeitungsmitarbeiter: Kannst nicht jeden Tag Glück haben.
29. 07. 2025
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