Szene VII: Camelot & Tintagel
Landwirt: Mädamms, nehmt mich mit, zülfopplä! Wir Bauern wissen uns auch anständig zu benehmen. Ich muss euch doch noch die Geschichte erzählen. Damit ihr im Bilde seid. Da gab’s doch damals dieses Gerichtsurteil, wonach dem Grafenpaar auch außerhalb Hanaus alle Gebiete der früheren Grafschaft Hanau-Münzenberg grundsätzlich zustehen. Als Normaljahr für den Besitzstand gilt 1780. Vorausgesetzt, die dortige Bevölkerung wünscht mit Zweidrittelmehrheit den Beitritt oder Deutschland tritt -wie etwa beim vorhin erwähnten Landkauf- freiwillig Territorium ab. Deshalb bretterten beide am 27. Juni 2018 im weißen Luxusgefährt die A45 hoch, um Münzenberg das wiederherstellen längst vergangener Zeiten schmackhaft zu machen. Honig ums Maul hat dieses Kesselstädter Versailles allen geschmiert. Ei, ich könnt weiterhin aus der Haut fahren!
Hofdame Chantal: Unsympathischer Zeitgenosse, einfach abtsoßend.
Hofdame Sylvie: Hmmm, aber vielleicht hat der unterwegs tatsächlich einiges zu berichten.
Hofdame Yvette: Mais ma chère, sérieusement, tu veux promener avec un paysan?
Hofdame Chantal: Woher deine Kehrtwende?
Hofdame Yvette: Aber nuuuuuuuuuur in gebührendem Abstand.
Hofdame Chantal: Zugehört, Bauer, 2 Meter hinter uns!
Landwirt: Mädamms, äsch, tankk öüsch dafförr!
Hofdame Sylvie: Und ausschließlich Hochdeutsch!
Landwirt: Kein Problem. Ihr müsst nämlich wissen, Mädamms, dass ich am 27. Juni 2018, dem Abstimmungstag, als unsere Stadt ihren Besitzer wechselte, als ausgewählter Vertreter der Bauernschaft das Geschehen hautnah mitverfolgen durfte. In dieser unpraktischen historischen Kostümierung, die…
Hofdame Yvette: Erwähnte er bereits. Details tunlichst vermeiden.
Landwirt: Begeistert hatte ich mich spontan als freiwilliger gräflicher Wahlkampfhelfer beworben. Ei, was versprach der Lump uns Münzenbergen im Vorfeld großspurig alles vom Himmel herunter! In meiner Funktion als Vertreter der Bauernschaft gebührte mir an jenem Tage die Ehre, vorneweg links dem gräflichen Paar gehen zu dürfen. Rechts repräsentierten der Herbert und seine Margot das Bürgertum sowie -ha, ebenfalls geködert- zwei Geistliche den Klerus. Ei, Mädamms, was wollt ihr vom Papst und vom Luther erwarten, die Kirchen des Herrn schunkelten schon immer eng mit den Mächtigen. Nach offizieller Begrüßung durch den künftig vorgesehenen Amtmann ging’s das kleine Stück vom Hattseiner Hof -einem der 30 Wahllokale- zur Burg Münzenberg rauf. Hintendrein stolzierte dauerklatschendes Hofgefolge, so an die hundert per Los bestimmte Adlige.
Hofdame Sylvie: Losentscheid?
Landwirt: Sicherheitsvorkehrungen, Mädamms. Die freie Fläche um die Befestigung ist für Massengetümmel viel zu schmal; zusätzlich verengt sich dann auch noch der Weg. Wenn zum Beispiel Panik ausgebrochen wäre – nicht auszudenken!
Hofdame Sylvie: Nachvollziehbares Argument.
Landwirt: Die gesamte Stadt war mit Kind und Kegeln auf den Beinen. Überall Absperrungen, um begeisterte Anstürme auf die Burganlage zu verhindern. Als Ersatz hatten Technikteams riesige Leinwände aufgebaut. Wie beim Public Viewing. Etliche Losgewinner schwenkten überglücklich Plakate mit dem in fettgedruckten Großbuchstaben geschriebenen Slogan:
MAKE MÜNZENBERG GREAT AGAIN !!!!!
Hat nur noch Donald Trump zu gefehlt.
Hofdame Yvette: Keine Sorge, Tölpel. 2025 wird US-Präsident Trump im Rahmen eines offiziellen Staatsbesuchs unter anderem auch Münzenberg besuchen.
Landwirt: Eeeeeiiiii, Mädamms, ich staune! Das pompöse Versailles verfügt ja nicht mal über Fernseher! Ihr lebt in eurem hochgelobten Paradies hinterm Mond – noch weiter weg vom Schuss als die Sieben Zwerge hinter den sieben Bergen! Mädamms, für’n Trump hieß es doch Goodbye; in New York, da befiehlt seit Januar der Biden. Nix mehr mit Mister President.
Hofdame Veronique: New York.
Hofdamen Chantal, Veronique, Sylvie, Yvette: Hahahahaha-hahahahaha!
Hofdame Chantal: 2025, Trampeltier. Aber Politik würde jetzt seine Gehirnleistung überfordern.
Hofdame Sylvie: Darum einfach in gewohnter Manier unbekümmert weiterschwätzen.
Landwirt: Ich schwör’s euch, Mädamms, was hier abging, Wahlkampf made in America. Als wir die Burg erreichten, meinte der Graf zu mir: „Bauer vom Land. Sehe er genau hin. Das vor ihm wird das neue ‚Camelot‘ sein.“

Ähm, ich bitte um Partongk, Mädamms, habt ihr zufällig ne Ahnung, was Camelot ist?
Hofdame Sylvie: Die Baumschule lässt grüßen.
Hofdame Chantal: Les chevaliers de table ronde. Nie gehört? König Artus? Sir Lancelot? Sir Gawain? Artus‘ berühmte Residenz, in welcher auch Königin Guinevra wohnte, trug jenen Namen.
Landwirt: Eeeeeeeeeeiiiiiiiiii, jeeeeeeeeeetzt kapier ich’s endlich! Märsi pohku, Mädamms, euch hat der Himmel geschickt! Eeeee-eeeeeiiiiiiiiii, deeeeeeeeeeshalb stoppte Herr Graf kurz darauf erneut. „Bauer vom Land. Wo wir zwei gerade mit Blick auf die Feste stehen, wird König Artus Sir Agrawein die Erlaubnis zur Ergreifung Sir Lancelots geben.“

Sprach’s, drehte sich um, schritt mit mir zur steinernen Balustrade, betrachtete am Mauerwerk längere Zeit schweigend Häuser und Landschaft. „Bauer vom Land. In ‚Tintagel‘ tut sich anscheinend nicht allzu viel.“

Obwohl abermals ohne blassen Schimmer, worauf man anspielte, wollte ich keinesfalls jenes ausgrenzende Klischee bedienen, der Landmann besitze von Tuten und Blasen keine Ahnung. Woraufhin deshalb meine Wenigkeit erwiderte: „Euer Durchlaucht, allergnädigster hoher Herr, am ‚Gambacher Kreuz‘ ist wahrlich mehr los. „Hahahahaha“, schallte es sichtlich amüsiert, „deshalb sind Wir ja anwesend. Zurück zum auserkorenen Amthaus.“ Ähm, ich bitte um Partongk, Mädamms, habt ihr zufällig ne Ahnung, was Tintagel ist?
Hofdame Sylvie: Die Baumschule lässt grüßen.
Hofdame Chantal: Die uralte Ortsbezeichnung Tintagel, bei Geoffrey of Monmouth Tintagol genannt. Tintagel Castle? König Uther Pendragon? Königin Igraine? Gorlois, Herzog von Cornwall? Nie gehört?
Hofdame Yvette: In Tintagel Castle wurde Artus gezeugt.
Landwirt: Eeeeeeeeeeiiiiiiiiii, jeeeeeeeeeetzt kapier ich’s endlich! Märsi pohku, Mädamms, euch hat der Himmel geschickt. Eeeeeeeeeeiiiiiiiiii, deeeeeeeeeeshalb bemerkte der Graf scherzhaft während er zum Bergfried hinaufsah: „Gewiss hatte der einen ziemlich Großen!“
19. 03. 2025
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